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Caravaggio und Vermeer: der Schatten und das Licht

Claudio Strinati über zwei Meister der Malerei

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Published: 15 Dez 2021
„Der eine ist in der Nacht zuhause, der andere im Licht des hellichten Tags”.
Mit diesem Diktum beschreibt Claudio Strinati, Kunsthistoriker, die Protagonisten seines neuen Buches, Caravaggio e Vermeer. L’ombra e la luce (Caravaggio and Vermeer. Shadow and Light, Einaudi). 

Um über Licht bei Caravaggio und Vermeer zu sprechen, zieht man am besten ihre Werke selbst zu Rate. Strinati untersucht als erstes die Kreuzigung des Hl. Petrus und die Bekehrung des Paulus, die Caravaggio zu Anfang des 17. Jahrhunderts für die Kapelle Cerasi in der Kirche Santa Maria del Popolo malte. Auf den ersten Blick haben wir das Gefühl, dass sich beide Szenen auf engem Raum abspielen, aber dies ist ein Effekt der Komposition, die die Leinwand bis zum Rand füllt. „Der von Michelangelo Merisi dargestellte Raum ist in Wirklichkeit nicht eng”, schreibt Strinati, „er ist eigentlich weder breit noch eng: er ist die Dunkelheit.“
Caravaggio und Vermeer: der Schatten und das Licht

Kreuzigung des H. Petrus (1600) und Bekehrung des Paulus (1600-1601) von Michelangelo Merisi genannt Caravaggio

Der starke Kontrast zwischen Licht und Dunkelheit ist nicht nur ein Kunstgriff, sondern eine Art und Weise der Neuschreibung der Theologie, die der Malerei der Renaissance zugrundelag. Religiöse Themen werden in Caravaggios Zeit nicht mehr in einer Vision wahrgenommen, in der „jedes Element in der Totalität eines Schönheitsideals erstrahlte”, schreibt Strinati. Somit ändert sich auch die emotionale Bildsprache und damit der religiöse Blick, der noch die Werke des 15. und 16. Jahrhunderts bestimmt hatte und alle Dinge in ein diffuses und beruhigendes Licht getaucht hatte. Für diesen Paradigmenwechsel schreibt Caravaggio das Neue Testament um: Die Apostelgeschichte erzählt nämlich, dass der römische Soldat Saul, der sich als überzeugter Christenverfolger betätigte, eines Tages mit seinen Gefährten in einer Ebene in Richtung Damaskus ritt, als er von einem göttlichen Licht geblendet wurde, das ihn zum Christentum bekehrte. Im Bild hingegen sehen wir ihn am Boden neben einem nicht gesattelten Pferd und einem Mann, der eher wie ein Stellknecht als wie ein Soldat anmutet.
Caravaggio und Vermeer: der Schatten und das Licht

Ansicht von Delft (1660-1661) von Jan Vermeer

Vermeer nimmt das Licht ganz anders wahr, nicht nur deshalb, weil er jünger als Caravaggio ist (der Holländer wird 1632, Caravaggio 1571 geboren). Die Ansicht von Delft zum Beispiel, schreibt Strinati, “begeisterte einen Künstler wie Proust so sehr, weil sie ihm etwas enthüllte, was er in sich spürte und nicht auszudrücken vermochte, eben diese Ahnung von Karma, die den Häusern, dem Wasser, den Bewohnern innewohnt und sie vom Rest der Welt und irgendwie auch von uns trennt. Wie ein Raumschiff aus unbekannten und entfernten Planeten, das sich aber letztlich als alltäglich herausstellt.“

Aber was haben das buddhistische Karma und ein Raumschiff in einem flämischen Gemälde aus dem 17. Jahrhundert verloren? Strinati fährt überzeugt und überzeugend fort: „Für Vermeer gibt es keinen Kontrast zwischen strahlendem Licht und absoluter Dunkelheit. [...] Für Vermeer gibt es das Licht, Äquivalent des indischen Karmas, als Aura, das sich um die Menschen legt und eine Art metaphysisches Mysterium zum Vorschein kommen lässt, das in, nicht außerhalb der Figuren besteht.“ Auch in diesem Fall evoziert das Licht ein Erlebnis, das dem religiösen ähnelt.

Wo bei Caravaggio Größe, Ort und Ästhetik der Gemälde dazu beitrugen, dass sich der Betrachter unmittelbar Gott und seiner Macht unterworfen fühlte, erfordern die Gemälde von Vermeer einen versunkenen Blick, der schürfend in die Tiefe gerichtet ist. Vermeer malte für private Auftraggeber und damit für ein Ambiente, in dem Gemälde von Nahem, allein oder in kleiner Gesellschaft geschaut wurden. Tatsächlich gibt es auch einen historischen Bezug zum Buddhismus: „Die magische Faszination, die uns aus den Gemälden Vermeers entgegenschlägt ist [...] jene der transzendentalen Meditation, des Nirvana, des Satori, die eines Geistes, der auf sein Innerstes selbst gerichtet ist, möglicherweise in Anlehnung an jene Lehren, die viele holländischen Händler und Reisende über die Ostindische Kompanie regelmäßig aufnahmen und verbreiteten.

Strinati zeichnet ein vollständiges historisches Panorama, das die Werke beider Maler nicht nur hinsichtlich ihrer persönlichen Biographien vergleicht, sondern auch anhand der Geographie der Orte, an denen sie gelebt haben, das kulturelle Klima, das sie umgab und die soziale Stellung ihrer Auftraggeber. Dadurch reichert er die Werke durch neue Lesarten an, ohne sie je so zu behandeln, als wären sie einfach unbewusste Produkte ihrer Zeit: Denn auch tausend historische Studien würden sie nicht ihrer Faszinationskraft und ihrer fast magischen Aura berauben, die sie umgibt.