02 Editorial Sehr geehrte Leser, „wie haben Sie die Zeit überstanden? Wie geht es Ihnen?”, sind wohl die Fragen, die in dieser Zeit ihren floskelhaften Charakter verloren haben. Das Jahr 2020 markiert eine für uns alle zuvor schwer vorstellbare Zäsur: Covid-19 hat eine Pandemie ausgelöst, die viele Menschenleben gekostet und die Weltwirtschaft in die Knie gezwungen hat. All dies zwingt uns zu einem vollständigen Neudenken der Prioritäten in unserer sozialen Verfassung. Das Virus hat der ganzen Welt vor Augen geführt, dass die Gesundheit ein Grundgut ist, das es mithilfe länderübergreifender Zusammenarbeit zu schützen gilt. Der Lockdown und die Rückkehr zur Normalität haben auch gezeigt, wie wichtig eine Neuorganisation sozialer Räume und der Mobilität in Städten ist. Neue Konzeptionen von offeneren, grüneren, kind- und altersgerechteren Städten, die Einbeziehung aufgegebener Gebiete in Italien und anderswo waren bereits früher Gegenstand einiger weitblickender Ansätze in der Architektur. Mario Cucinella etwa hatte zur 16. Architekturbiennale den italienischen Pavillon in seinen “Arcipelago Italia” verwandelt, genau wie Massimiliano Fuksas bereits zu Pandemiezeiten Vorschläge zum neuen Wohnen eingebracht hat, in denen Wohn-, Arbeits- und Freizeitorte zusammenfließen. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch den Dichter und Landschaftsdenker Franco Arminio zu Wort kommen lassen, der sich seit jeher als das Gewissen Italiens, vor allem der inzwischen entvölkerten Gebiete im Landesinneren, hervorgetan hat. Die Veröffentlichung dieser Ausgabe von Lighthinking war für April 2020 vorgesehen, doch sind Italien und die Welt in den Monaten März und April zum Stillstand gekommen. So konnten wir keine Vorhersagen über die Zukunft treffen und mussten das Erscheinungsdatum des Magazins, wie viele andere geplante Projekte, auf unbestimmte Zeit verschieben. Es klingt fast ironisch, dass Lighthinking 03 sich ausgerechnet dem urbanen Kontext widmet, dieser Bühne, auf der sich der Großteil der Menschheit begegnet und sozialisiert, wo Hände geschüttelt werden, man sich begrüßt, sich umarmt, etwas zusammen trinkt, gemeinsam reist und alle jene Tätigkeiten ausübt, die nun eingestellt werden mussten, um die Infektionsketten zu unterbrechen. Die jetzige Veröffentlichung scheint uns ein gutes Vorzeichen zu sein, damit all das, was Lighthinking 03 anregt, in einer neuen Welt fruchtbaren Boden findet und wir ein wenig zur Normalität zurückfinden. Neben Beleuchtungsprojekten in unterschiedlichen städtischen Umgebungen, vom verschneiten nordeuropäischen Tallin, über das frenetische chinesische Ningbo, dem eleganten Covent Garden in London bis zu einem Areal der Stadterweiterung Zagrebs, befasstsich diese Ausgabe mit dem Licht als kreatives Element, das auf seine Weise attraktiver und strategischer Entwicklungsfaktor für die Stadt selbst sein kann. Wie in einem im Brennpunkt gespiegelten roten Faden finden Sie in den Kapiteln „Creative Light / Creative Cities“ Anregungen dazu, wie das Licht städtische Räume aufwerten kann, welche Qualitäten es einbringt, wie es zum Wohlbefinden von Bewohnern und Besuchern beitragen und welche zukünftigen Szenarien es inspirieren kann. Zu diesen Themen haben wir Thierry Marsick interviewt, den Leiter der Abteilung städtische Beleuchtung der Stadt Lyon, eine der ersten Städte weltweit, die einen Lichtnutzungsplan ausgearbeitet hat; außerdem haben wir Paolo Granata, Universitätsprofessor im kanadischen Toronto, gebeten, die Schritte zur Aufnahme seiner Stadt in das Netzwerk der Creative

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